Themen in der Werkstatt ROHLF
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Festschrift Poppenbüttel zur Einweihung am 3. September 2006, herausgegeben von der Marktkirchengemeinde Hamburg-Poppenbüttel
Fest der Kirchenmusik - Einweihung der Rohlf-Orgel  /  60. Jubiläum der Kantorei Druckversion 53 kB
Festschrift zur OrgelweiheZu Konzeption und Bau der Orgel

In gleicher Weise, in der sich Kirchenräume unterscheiden, unterscheiden sich Orgelinstrumente. Geht man dem Orgelgebilde jedoch auf den Grund, zeigt sich das immer wiederkehrende Prinzip: Ein künstlich erzeugter Wind, der über eine durch den Organisten gesteuerte technische Anlage zu den Pfeifen geführt wird. Und an diesem Prinzip üben sich Orgelbauer und Organisten seit mehr als zweitausend Jahren. Die technische Anlage, die zwischen dem eigentlich klanggebenden Instrument, den Flöten oder Pfeifen, und dem Orgelspieler steht, war Voraussetzung und Anstoß, das Instrument, von nicht einmal mannshohen Anfängen bis ins Überdimensionale wachsen zu lassen.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Orgelbaugeschichte im 17ten und 18ten Jahrhundert einen grandiosen Höhepunkt und eine Blüte erlebte, mit herrlichen Instrumenten, an denen wir heute noch ungeschmälerte Freude haben. Die Geschichte lässt sich aber nicht aufhalten und auch die Orgel unterliegt dem Wandel der Zeit.

Die technische Anlage einer Orgel appelliert an den Erfindergeist, und es gibt heute keinen Wunsch an die Größe einer Orgel und die Vielzahl ihrer Register, der, sofern Räumlichkeit und Mittel vorhanden sind, nicht erfüllt werden könnte. Dies allerdings nur zu dem Preis, dass der Orgelspieler mehr und mehr zu einem Bediener von Schaltern wird und immer weniger die Ton- und Registerventile selbst und unmittelbar bewegt. Die physikalische Entfernung zwischen Spieler und klanggebendem Pfeifenwerk verliert an Direktheit und Nähe. Die große romantische und sinfonische Orgel setzt zur spielerischen Bewältigung des Instruments pneumatische, elektrische und elektronische Kraftverstärker und Speichergeräte ein, welche die Orgeltechnik in den Vordergrund treten lassen. Die handwerkliche Ästhetik, welche bei einem klassischen, akustischen Musikinstrument zu erwarten ist, muss zurücktreten.

Eine fortschreitende Technisierung der Orgel setzt in der Mitte des 19ten Jahrhunderts euphorisch ein. Anfängliche Erfindungen im Orgelbau tauchen später im Maschinenbau wieder auf (Pneumatik). Heute finden wir im Orgelbau Datenspeicher der Computerindustrie.

Unsere Arbeit in der Seitzentaler Werkstatt zielt auf ein Gleichgewicht zwischen äußerem Orgelbild, angemessener, mechanischer Steuerung und dem Wohlklang dienender Orgelakustik. Wir bauen die Orgel ihres Klanges wegen, als Musikinstrument, nicht als Skulptur und auch nicht als Maschine zur Krafteinsparung und Datenspeicherung. Das hochwertige, akustische Musikinstrument kommt immer vom Handwerksmeister. Nur der stets kontrollierte Handgriff führt zum optimalen Klang. Der Klang und die sichere, dauerhafte Funktion haben immer Vorrang.

Sie bestimmen die Pfeifenaufstellung im Orgelinneren, auch im Orgelprospekt, aber auch die Windanlage, also die Konstellation Balg – Windführung – Windladen. Bei der Gestaltung des Orgelentwurfs und der baulichen Details spielen die Materialwahl und die handwerkliche Ästhetik eine wichtige Rolle. Aus diesem Geist heraus wurde auch die neue Orgel für die Marktkirche in Hamburg–Poppenbüttel gebaut.

Die klassische Orgelanlage im 18. Jahrhundert, wie sie auch nach 1945 vielerorts wieder angestrebt und verwirklicht wurde, zeigt einen klaren "Werkaufbau": Brustwerk, Hauptwerk, Oberwerk, vielleicht auch ein Rückpositiv und freistehende Pedaltürme, auch bekannt als "Hamburger Prospekt". Diese Anlage setzt für die Orgel eine Raumhöhe über der Orgelempore von mindestens 9 m voraus. In der Marktkirche Poppenbüttel stehen der Orgel dort aber nur 5,40 m zur Verfügung, weshalb hier die Werke nicht übereinander, sondern hintereinander aufgebaut sind. Lediglich für die Pedaltürme ist ausreichend Raumbreite vorhanden. So verleihen die freistehenden Pedaltürme der Poppenbüttler Orgelansicht "Hamburger Prospektmanier". Die Manualwerke in der oben aufgeführten Disposition kann man so definieren: I. Manual gleich Hauptwerk im mittleren, fünfgliedrigen Gehäuse. II. Manual gleich Oberwerk im gleichen Gehäuse (auf durchschobener Windlade). III Manual gleich Schwellwerk mit Jalousieschweller. Das Gehäuse des Schwellwerks lässt sich mit zwei Handgriffen links und rechts öffnen, wodurch es zu einem direkt klingenden Positiv wird.
In der Disposition ist noch ein IV. Manualwerk aufgeführt, ein Hochdruckwerk, welches an das III. Manual gekoppelt werden kann. Über den Bälgen hinter der Orgel aufgebaut, ist es mit zwei dynamischen Hochdruckregistern ausgestattet, deren Winddruck über einen separaten Schwelltritt von 0 bis 300 mmWS verändert werden kann, ein Novum im Orgelbau, worüber demnächst in der Fachpresse berichtet wird.

Für die Herstellung aller Einzelteile der neuen Marktkirchenorgel (die mit insgesamt 2.072 Pfeifen ausgestattet ist) wurden ausschließlich natürliche Materialien verwendet, wie Eichenholz aus dem Schönbuch für das Gehäuse, die Windladen, die Mechanik einschließlich der Tasten, die Bälge und für Holzpfeifen, Fichtenholz für den Violon 16’ und für die Abstrakten, Buchsbaum und Ebenholz für die Manualtastenbeläge, Schafsleder für den Balg und für Ventildichtungen, Zinn und Blei für die Metallpfeifen und verschiedene Halbzeuge wie Darmsaiten, Draht und Schrauben von Messing, Vierkant-Eisenrohr für Mechanikwellen, Ledermuttern, Tuche, Filze und manches andere. Sie wurde in unsrer Seitzentaler Werkstatt von den Orgelbauern Mathias Jung, Manfred Zeller, Hans-Peter Eckert, Tobias Merkle, Tudor Roberts, Thomas Dehmel, Winfried Kirchfeld, Sebald Endner, Alexander Seyfried und Johannes Rohlf in rund 10.570 Arbeitsstunden gebaut. Elisabeth Rohlf pflegte mit offenem Haus und Zuwendung im Gespräch den Kontakt nach außen.

Das Orgelprojekt wurde vom Vorsitzenden des Orgelbauvereins der Marktkirche Poppenbüttel, Herrn Klaus Sommerfeldt, finanztechnisch geplant und vorangebracht und durch die Kirchenmusiker der Gemeinde, Herrn KMD Michael Kriener und Frau Renate Sternel fachkundig begleitet. Herr Hans-Jürgen Wulf, Kirchenmusiker in Niendorf, stellt als Orgelsachverständiger die Verbindung zur Nordelbischen Landeskirche her.

Wir sind der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Poppenbüttel dankbar und verbunden für das in uns gesetzte Vertrauen und wünschen sehr, daß die neue Orgel im kirchenmusikalischen Leben der Marktkirchengemeinde ganz selbstverständlich ihren Platz findet, gern zum Klingen gebracht wird und den Gottesdienst, die Liturgie und das Kirchenkonzert prächtig bereichert.
Johannes Rohlf, September 2006

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