Die Holzhey-Orgel im Münster zu Obermarchtal
Grundpfeiler der Restaurierung
Die Wiederherstellung des einzigartigen Klanges
Es ist das
Schicksal vieler Orgeln, durch den sich wandelnden Zeitgeist
unerbittlichen Beurteilungen ausgesetzt zu sein. Der Zeitenwandel
verändert Maßstäbe und kann einen
toleranten Zugang zu den Werken der Väter und
Großväter verstellen. Das Erkennen und Akzeptieren
einer spezifischen Ausprägung eines Musikinstruments ist
beispielsweise bei der Geige oder dem modernen Klavier
unproblematischer. Für die Orgel gibt es eben keine
Normierungen, weshalb sie stets aus der Perspektive ihrer Zeit, ihrer
heimatlichen Landschaft und des Entstehungsortes heraus gesehen werden
muss, will man ihre Einzigartigkeit verstehen. Die Orgelreform um
Albert Schweitzer hat dieses Denken, das authentische Instrumente
für die entsprechende Orgelliteratur besitzen möchte,
erkannt und gefördert. Wir lernen bis in unsere Tage hinein,
dass sowohl das Alte wie das Neue nicht als Angriff auf das Bestehende
zu sehen ist, sondern dass das bestehende Instrument mit Historie ein
Stück unserer Musikkultur mit eigenem Wert darstellt.
Wie man die
Beziehung zu einem Freund über die Akzeptanz seines Charakters
aufrecht erhält, so kann auch der Zugang zu dem vorhandenen
Orgelkonzept durch aktive Offenheit gegenüber dem anders
gearteten Instrument hergestellt werden.
Die Orgel
von Johann Nepomuk Holzhey in Obermarchtal hatte zu ihrer Zeit ein
hohes Maß an Vollkommenheit und wurde ihres Klanges wegen
gerühmt. Sie bot dem Organisten eine reichhaltige Palette an
Klangfarben und auf den Manualen einen Tonumfang, der, aus der Zeit um
1780 heraus betrachtet, als progressiv gelten muss. Die
Wiederherstellung dieser Einzigartigkeit in ihrem geschichtlichen
Kontext war das Ziel dieser Restaurierungsarbeiten.
Neben dem
Zurückfinden und Verfolgen der durch die Werkstatt Holzhey
geübten handwerklichen Ästhetik und ihrer Manier,
orgelbauspezifische Probleme zu lösen, war der
wiederzugewinnende Klang dieser Orgel das eigentliche und spannende
Ziel der Restaurierungsarbeit. Es ist der Weg, der uns zu neuen
tiefgreifenden gegenwärtigen Erfahrungen führt,
welche über den vom Gehör beurteilten Klang
hinausgehen. Zusammen mit der Kunst des Orgelspielers, der Instrument
und Raum erkennt und damit agiert, entsteht das Erlebnis mit
Orgelklang.
Voraussetzung
ist das in allen Funktionen intakte Instrument, im Einzelnen zuerst der
frei atmende Wind als zentrales Medium der Orgel, dann die Bauart des
Pfeifenwerks, die wohl überlegte Aufstellung des Pfeifenwerks
in der Orgel, und ebenso die Art und Anlage der Tastenmechanik, also
der Kontaktstelle zum Musiker.
Das
Pfeifenwerk kann frei und gesund erklingen, wenn die technischen
Einrichtungen zur Windversorgung jedes einzelnen Tones richtig geplant,
vorbereitet und gebaut sind.
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Und darin lag das Ziel der
praktischen Schritte bei den Restaurierungsarbeiten, nämlich
die
Wiederherstellung der durch Holzhey vorgegebenen Orgel-Konstruktion,
die letztlich in allen ihren Details auf die Klangerzeugung wirkt:
Das waren
die Wiederherstellung in Material und Machart
- der Bälge,
- der
Windführungen von den Bälgen zu den Windladen und
weiter von den Laden zum Pfeifenwerk,
- des
ursprünglichen Zustandes der Windladen,
- des
labialen Pfeifenwerks, das mit Ausnahme der Prospektpfeifen
weitgehend original erhalten
ist,
- des
lingualen Pfeifenwerks, das leider völlig verloren ging,
- des
Spieltischs mit den Klaviaturen, von dem nur Gehäuseteile
erhalten waren,
- der
Traktur, die in wenigen Einzelteilen vorhanden war, und
- der
Registermechanik, die weitgehend original erhalten ist.
Im
noch zu erstellenden Restaurierungsbericht werden alle Arbeitsschritte,
für welche insgesamt mehr als 15.500 Arbeitsstunden eingesetzt
wurden,
aufgelistet.
Glücklicherweise
haben eine beachtliche Zahl von
Holzhey-Orgeln die Zeiten gänzlich oder in Teilen
überstanden, so dass
durch das Studium dieser Vorgaben und durch die Kenntnisse der
Organologen die ursprüngliche Gestalt der Obermarchtaler Orgel
wiederhergestellt werden konnte.
Wenn man als Orgelbauer dann
über zwei
Jahre sehr
hautnah mit einem Instrument aus der Hand Holzheys und
seiner Gesellen umgeht, wird man unmerklich auch zu seinem
Schüler. Und
so, wie wir
an den vorgefundenen Arbeiten unterschiedliche
Handschriften der Orgelbauer aus der Werkstatt Holzheys fanden, so wird
man nun auch Handschriften der Werkstatt Rohlf finden können.
Die
Arbeit konnte gelingen, wie sie gelang, weil jeder Einzelne an der
Wiederherstellung beteiligte und ein jeder unserer Orgelbauer-Crew mit
ernsthaftem Enthusiasmus bei der Sache war.
Für uns erwächst
Orgelbau und Orgelspiel aus der Betrachtung und Bewunderung unserer
physischen Welt, also letztlich aus der Begeisterung an unserer Natur
und der Schöpfung.
Wir sind dem Bistum und der Münstergemeinde
dankbar für das geschenkte Vertrauen in die handwerkliche
Leistung
unserer Werkstatt, und wir wünschen Freude am restaurierten
Instrument
und seinem Klang bei der Liturgie und im Konzert.
Johannes Rohlf, September 2012
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