Festschrift
Marktzeuln zur Einweihung am 21. Oktober 2001, herausgegeben
von der Kath. Pfarrgemeinde Marktzeuln.
Das Gehäuse für die neue Orgel
in St. Michael
Eine neue Orgel im Jahr 2001
für St. Michael in Marktzeuln, sollte sie nicht eine äußere
Gestalt haben, die klar und deutlich unsere Zeit vertritt? Aber welche
Orgelgestalt vertritt unsere Zeit? Ist unsere Zeit die Spanne unseres eigenen,
persönlichen Lebens, oder wessen Leben, oder mehrerer Leben?
Ich meine, dass in der Debatte
um „Historismus und Moderne“ unser Kulturkreis nicht in kleine Fragmente
geschnitten werden darf, sonst passiert es, dass nur der Augenblick gilt,
dass Moderne mit Mode verwechselt wird und man im Jahr 2001 fast nur mit
Stahlseil und Glas bauen dürfte. Wird aber gesagt: „unsere Zeit ist
die Zeit unserer abendländischen Kultur“, dann gehört die ganze
Orgelbaugeschichte zu uns, vom Mittelalter bis zum Jahr 2001, wodurch wir
einen unerschöpflichen Fundus an Denkanstößen gewinnen.
Zwar kann man das Rad der Geschichte auch im Orgelbau nicht zurückdrehen,
aber Zeugnisse der Vergangenheit können so stark sein, dass sie dazu
in der Lage sind, auch heute Verstand, Herz und Gemüt anzuregen, zu
erfreuen und die Orgelbaugeschichte ein wenig weiter zu bewegen.
Der Kirchenraum von St.
Michael in Marktzeuln, wie er uns heute begegnet, begeht in diesen Tagen
seinen 300. Geburtstag. Innerhalb dieser Zeit erhielt der gotische Chorraum
eine barocke Ausstattung, und die West- und Nordempore wurde um 1900 in
einer Neogotik ausgestaltet. Älter als diese Gestaltungselemente dürfte
die Holzdecke des Kirchenschiffs mit ihrer Bemalung sein.
Die äußere Gestalt
der neuen Orgel, ihre Architektur, soll das geplante klangliche Konzept
mit der musikalischen Aufgabe in Gottesdienst, Liturgie, festlicher Messe
und Konzert ohne Mühe zulassen und sich zugleich zugehörig in
die Umgebung einfügen.
Es wurde vermieden, auf
der neogotischen Orgelempore ein Gehäuse zu bauen, dessen Gestaltungsideen
auf ein neogotisches Orgelgehäuse des letzten Jahrhunderts zurückgreifen.
Denn daraus resultierte eine Neo-Neogotik. Vielmehr galt eine Orientierung
an einem Orgelgehäuse der Hochgotik des frühen 16. Jahrhunderts
mit sehr klarem Grundkonzept: Ausbreitung in der Fläche mit geringer
Tiefe,
was für die Orgelakustik wichtig ist. Sichtbare Holzkonstruktion mit
Stützen, Traversen und Füllungen. Das Orgelgehäuse aus Südengland,
Wales, das als Orientierungshilfe diente, ist reich verziert und mit vielen
Schnitzereien versehen, von denen am neuen Gehäuse nur einige typische
Elemente nachempfunden wurden. Dadurch treten die zur statischen Konstruktion
gehörenden Elemente erkennbar ins Bild. Der gotische Schmuck beschränkt
sich auf die Bekrönungen in Form von Kugeln auf den seitlichen Türmen,
die gedrechselten Fialen auf dem Mittelturm, dort auch, an Stelle einer
geschnitzten Muschel das Flügelrad des Cymbelsterns, die vergoldeten
Schleierbretter über den Prospektpfeifen, die nur in der Gotik verwendeten
„Faltwerkfüllungen“ am Hauptwerksgehäuse, (eine Technik, die
es verdient, in der Erinnerung wachgehalten zu werden) und schließlich
die
ornamentalen Prägungen
auf den mittleren Prospektpfeifen der drei Türme.
Hinter dem Hauptwerksgehäuse,
getrennt durch einen Stimmgang, steht das Gehäuse des zweiten Manuals,
der „Schwellkasten“. Dieses Gehäuse
hat die Aufgabe, im geschlossenen Zustand möglichst wenig Klang nach
außen dringen zu lassen, was hier mittels Steinfüllungen erreicht
wird (Granit aus der Tarne, Südfrankreich). Die Verwendung von Stein
an einem Schwellkasten ist ein absolutes Novum im Orgelbau. Jalousien in
der Front, also direkt hinter dem Hauptwerk, über einen Schwelltritt
gesteuert, ermöglichen eine Dynamisierung des Klanges. Soll dieses
Schwellwerk in voller Kraft zur Geltung kommen, können zusätzlich
seitliche Türen geöffnet werden.
Direkt hinter dem Schwellwerk
stehen die Register des Pedals in einem halb offenen Gehäuse und die
Windanlage mit Gebläse und zwei Bälgen, die Lunge der Orgel.
Für die Herstellung
aller Einzelteile der neuen Orgel wurden ausschließlich natürliche
Materialien verwendet wie: Eichenholz aus dem Schönbuch für das
Gehäuse, die Windladen, die Mechanik und die Bälge, Fichtenholz
für die Manualtasten und die Abstrakten, Buchsbaum und Ebenholz für
die Manualtastenbeläge, Schafsleder für den Balg und für
Ventildichtungen, Zinn und Blei für die Pfeifen und verschiedene Halbzeuge
wie Draht und Schrauben von Messing, Vierkant-Eisenrohr für Mechanikwellen,
Ledermuttern, Tuche, Filze und manches andere. Sie wurde in allen Teilen
in unserer Seitzentaler Werkstatt in etwa 6.150 Arbeitsstunden gebaut.
Manfred Zeller machte das Herzstück der Orgel, welches alle Funktionen
bündelt, die Windladen (auf denen die Orgelpfeifen stehen, auch die
sichtbaren Pfeifen im Prospekt. Zu den Windladen hin wird der Wind aus
dem Balg geleitet, wird die Tastenmechanik geführt und auch die Registermechanik).
Hans-Peter Eckert schuf die Voraussetzung für einen gesunden, ansprechenden
Klang, das Pfeifenwerk. Mathias Jung gab allen Wünschen und Ideen
Maß und Zahl, indem er die Bauzeichnungen fertigte, beteiligte sich
aber auch am Bau der Pfeifen, z.B. durch die Herstellung der „Kehlen“ für
die Zungenstimmen. Friedemann Seitz wendete alle handwerkliche Kunst an
die einladenden Manualtasten und die unsichtbare Koppelmechanik und Traktur,
unterstützt durch Mathias Mebold. Er baute auch die Registermechanik
und führte, zusammen mit Johannes Rohlf und Hendrik Ahrend die Intonationsarbeiten
durch. Hendrik Ahrend baute zudem die Posaune 16´ des Pedals. Tudor
Roberts sorgte mit dem Bau der Windanlage, also den Bälgen, (dem Ventilatoranschluss
und den Windkanälen zur Orgel,) für die Seele der Orgel. Er drechselte
die Registerknöpfe und die Bekrönungen des Gehäuses, und
zusammen mit Marcel Frank überarbeitete er die hundertjährigen
Holzpfeifen der alten Orgel. Die Arbeit unseres Tobias Merkle erfreut in
besonderem Maße das Auge. Zusammen mit Hendrik Ahrend baute er das
Orgelgehäuse. Zum Teil überschneiden sich die Kompetenzen der
9 Orgelbauer. Wir arbeiten an einem gemeinsam vertretenen Ziel, weshalb
nicht jeder Handgriff genau zugeordnet werden muss.
Elisabeth und Johannes Rohlf
hielten den Kontakt zur Außenwelt, planten die Arbeit und stellten
alle wichtigen Übergänge her.
Wir sind der katholischen
Kirchengemeinde von Marktzeuln sehr dankbar und verbunden für
das in uns gesetzte Vertrauen und wünschen sehr, daß die neue
Orgel in St. Michael eine lebendige Heimat findet.
Johannes Rohlf
|