Themen in der Werkstatt ROHLF
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Festschrift Altensteig zur Einweihung am 14. April 2002, herausgegeben von der Evang. Kirchengemeinde Altensteig.

Die Orgel in Altensteig  Eine neue Orgel im alten Weinmar-Gehäuse für die Ev. Stadtkirche

Seit vielen hundert Jahren gibt es Orgelmusik und werden Orgeln gebaut und gespielt. Jede Epoche brachte ihren eigenen Orgeltyp hervor. Von einem Instrument mit 8 oder 12 Tönen in vorchristlicher Zeit wuchs die Orgel während der Industrialisierung zu einem Giganten mit Tausenden von Pfeifen, deren Tonhöhen mit Frequenzen von 16 bis 16.000 Hz den gesamten Hörbereich des Menschen abdecken.
So wurde von den Anfängen des Kirchenorgelbaus im Mittelalter bis heute ein Reichtum an Fachkenntnissen erworben, welcher die aktuelle Arbeit prägt. 
In unseren Tagen wird nicht nur die große Konzert- oder Domorgel gespielt und gebaut sondern auch kleinere Instrumente, die ihrem Typus nach eher in die Barockzeit oder die Renaissance gehören. Das Erlebnis der Wiedergabe und des Hörens alter Musik mittels Instrumenten, deren Bauart sich an historischen Instrumenten orientiert, ist auf anderem Wege nicht zu haben.
Nun ist die Orgel nie nur Musikinstrument, sie ist immer auch ein Stück weit technisches Gerät, also Grenzgängerin zwischen Instrument und Maschine. Dieser unauflösbare Status führt bei Orgelspielern und Orgelbauern immer wieder zu Irritationen, da jedes gedachte Konzept verwirklicht werden kann und die Variationsbreite der Ausstattung einer Orgel praktisch unendlich ist. Wenn man von den Kosten absieht, kann jeder konzeptionelle Wunsch erfüllt werden, nicht jedoch zwei differierende Wünsche gleichzeitig.  Jedes verwirklichte Konzept hätte also auch anders aussehen können. Durch den Akt der Realisation werden am betreffenden Instrument alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen. Dieser Umstand lässt erahnen, wieviel Weitblick und Fantasie ein Organist besitzt, der das Konzept eines ihm neuen Instruments in kürzester Zeit erfasst und damit sinnvoll und musikalisch umgeht. 
Bei der Planung und dem Bau einer neuen Orgel begegnet einem immer sowohl der Technikverliebte als auch der Klangverliebte. Bis zu einem hohen Grad ist es jedoch nicht möglich, mittels technischer Einrichtungen und Tricks akustische Fakten zu überspielen d.h., dass es ein Instrument, dessen technische Ausstattung  gleichermaßen in die Tiefe entwickelt ist wie die der Klangschönheit, nicht geben kann. Ist die Klangästhetik das Ziel der Planung, hat auch die Technik diesem Ziel zu dienen. Am Ergebnis wird sich stets erweisen, ob architektonischer Gestaltungswille, technische Raffinesse oder Klangschönheit das höchste Ziel beim Bau einer Orgel war. 
Die unterschiedlichen Vorstellungen und Wünsche für die klangliche, technische und architektonische Gestaltung einer neuen Orgel führen infolgedessen den Orgelspieler und Orgelbauer zu grundlegenden Fragen nach der Orientierung. Soll die Tradition gepflegt, einer Mode gefolgt oder etwas ganz anderes, möglichst noch nicht dagewesenes geplant werden ? 
Wo lag der Schlüssel für das richtige Konzept einer neuen Orgel für die Evang. Kirche in Altensteig ?

Am Anfang jeder Orgelplanung steht neben den Wünschen an den Klang die Architektur des Kirchenraumes und des Orgelgehäuses. Die Kirchengemeinde in Altensteig hat das Glück, ein Orgelgehäuse zu besitzen, das seit 230 Jahren zu ihrer Kirche gehört und das an Maßen und Proportionen an ihrem Standort nicht überboten werden kann. Diese Aufgabe war also bestens gelöst, da Orgelbauer Weinmar 1772 als Erbauer dieses Orgelgehäuses genau wusste, in welcher Weise Orgelpfeifen im Idealfall nebeneinander stehen müssen. Die von ihm angewendete, konsequente Terzaufstellung des Orgelprospekts, die selbstverständlich im Orgelinneren auf der Windlade fortgesetzt wird, beruht auf akustischen Belangen, also auf physikalischen Gesetzen, die nie ihre Gültigkeit verlieren werden. Noch offen war aber die wichtige Frage, wie das klangliche Konzept in diesem Gehäuse, in diesem Raum, in unserer Zeit und die Aufgaben bei Gottesdienst, Liturgie und Konzert bedenkend, aussehen soll.
Zu dieser Frage gab Dr. Könner vom Landesdenkmalamt in Stuttgart ein überzeugtes und überzeugendes Plädoyer für ein Instrument, wie es das historische Orgelgehäuse von Johann Weinmar ursprünglich beherbergte, für eine große einmanualige Orgel mit originaler Disposition. Wegen der Maße am vorgegebenen Orgelgehäuse hätte dann auch der Tonumfang des Manuals von C - c³ nicht überschritten werden können.
Ohne Zweifel wäre dies sowohl für den Historiker als ebenso für den Orgelbauer ein begehrenswertes Ziel 
gewesen und zweifelsfrei hätte auch dieser Weg zu einem klangschönen Instrument geführt, mit dem 
Gottesdienst und Liturgie und in weiten Strecken ebenso das Orgelkonzert hätte bestritten werden können. Da in weitem Umkreis aber ein Instrument fehlt, auf welchem auch Orgelliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts gültig interpretiert werden kann, war es für die Musiker der Kirchengemeinde und der Region, die anspruchsvolle musikalische Wiedergaben erarbeiten, von Anfang an klar, dass die neue Orgel in ihrer klanglichen Mitte über die Barockzeit hinausreichen soll, sie mehrere Manuale und wenn möglich, auch ein Schwellwerk besitzen soll. Dass dann dieses Orgelkonzept trotzdem in größtem Maße Rücksicht auf das historische Weinmar-Gehäuse nimmt, war die Bitte des Landesdenkmalamtes und ganz selbstverständlich auch der Wunsch des Orgelbauers und der Kirchengemeinde.

Die Maßvorgaben am Aufstellungsort der Orgel, das historische Orgelgehäuse und dazu der gesteckte Kostenrahmen ergaben die Grenzen, innerhalb welcher das nun realisierte Konzept mit 27 Registern auf drei Manualen und Pedal entwickelt wurde (siehe Disposition):
Zunächst wurde ein günstigerer Orgelstandort gewählt und das Instrument zwischen den Emporen um jeweils etwa einen Meter angehoben und an die Brüstung herangerückt. 
Im alten Orgelgehäuse von Fichten- und Kiefernholz stehen auf einer „durchschobenen“ Windlade 14 Register, sieben für das erste Manual (Hauptwerk I) und sieben für das zweite Manual (Hauptwerk II oder Oberwerk). Hinter dem alten Gehäuse, getrennt durch einen Stimmgang, sind das Pedal mit fünf und darüber das Schwellwerk mit acht Registern aufgebaut. Die Füllungen von Rückwand und Seiten des Schwellwerkgehäuses sind von Naturstein (weißer Granit aus Taiwan). Sie bewirken zweierlei: Bei geschlossenen Jalousien lassen sie Schall nur in geringem Maße nach außen dringen, wodurch ein stilles Piano erreicht wird, und bei sich öffnendem Schweller kommt dann die Reflektionswirkung des Steines mit einem kräftigen Crescendo zur Geltung. Hinter der Orgel ist die Windanlage mit zwei Keilbälgen installiert.
So sehr auch der Orgelklang von allen baulichen Details des Instruments mitgetragen wird, ist doch die Mitte des Instruments das Pfeifenwerk. Orgelpfeifen, die ihren Dienst schon lange tun, klingen reifer und schöner, als neues Pfeifenwerk. Wie bei anderen akustischen Musikinstrumenten auch, lohnt es sich deshalb, eine Orgel so zu bauen, dass sie ein hohes Alter erreichen kann. Dazu ist es wichtig, gutes Material zu verarbeiten und eine möglichst einfache und dauerhafte technische Anlage zu finden. Die Vorgaben des historischen Gehäuses wiesen bereits in diese Richtung, unkompliziert zu sein. Leider haben sich von der historischen Weinmar-Orgel nur vier Register erhalten. Sie wurden restauriert und in die neue Disposition hineingenommen. Das neue Pfeifenwerk wurde im Stil des 18. und 19. Jahrhunderts gebaut, d.h. dass Intonationshilfen und Stimmvorrichtungen nur an einzelnen Registern verwendet wurden. 
Rückseite der Festschrift
Für die Herstellung aller Einzelteile der neuen Orgel (die mit insgesamt 1.676 Pfeifen ausgestattet ist,) wurden ausschließlich natürliche Materialien verwendet, wie Eichenholz aus dem Schönbuch für das Gehäuse, die Windladen, die Mechanik, die Bälge und für die Pfeifen des Holzprincipals im III. Manual, Ergänzungen des alten Gehäuses natürlich in Kiefern- und Fichtenholz, ebenso Fichtenholz für die neuen Bassregister und für die Abstrakten und die Tasten; Buchsbaum und Ebenholz für die Manualtastenbeläge, Schafsleder für den Balg und für Ventildichtungen, Zinn und Blei für die Pfeifen und verschiedene Halbzeuge wie Darmsaiten, Draht und Schrauben von Messing, Vierkant-Eisenrohr für Mechanikwellen, Ledermuttern, Tuche, Filze und manches andere. Sie wurde (mit Ausnahme des Subbass 16´ und Violon 16´) in unsrer Seitzentaler Werkstatt von den Orgelbauern Manfred Zeller, Hans-Peter Eckert, Mathias Jung, Friedemann Seitz, Tudor Roberts, Tobias Merkle, Hendrik Ahrend, Marcel Frank, Mathias Mebold, Sebald Endner und Johannes Rohlf in etwa 7.800 Arbeitsstunden gebaut. Der Kontakt nach außen wurde wesentlich von Elisabeth Rohlf gestaltet. 

Das Orgelprojekt wurde fachkundig begleitet durch den Orgelsachverständigen des Oberkirchenrats der Evang. Landeskirche in Württemberg, Dr. Helmut Völkl und ebenso durch die Organisten und Kirchenmusiker am Ort und in der Region. 
Wir sind der Evangelischen Kirchengemeinde in Altensteig dankbar und verbunden für das in uns gesetzte Vertrauen und wünschen sehr, daß sich die neue Orgel in der Evang. Kirche in Altensteig anregend in das musikalische Leben einfügen wird und vor allem den Gottesdienst und die Liturgie mit prächtigem Klang bereichert.

Johannes Rohlf
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