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Es gibt heute
z.T. recht unterschiedliche Vorstellungen und Wünsche für die
klangliche, technische und architektonische Gestaltung einer neuen Orgel,
und die Frage nach der Orientierung stellt sich stets aufs Neue, sowohl
für den interpretierenden Orgelspieler als auch den planenden Orgelbauer.
Im Prinzip hat
die Orgel seit der Renaissance ihre Gestalt gefunden. Welch prächtige,
reich disponierte und handwerklich gekonnt gemachte Instrumente wurden
bereits im 17. Jahrhundert gebaut (um nur ein herausragendes Beispiel
zu nennen: die 1659 fertiggestellte Stellwagenorgel der Marienkirche von
Stralsund mit 51 Registern auf drei Manualen und Pedal. Gesamthöhe
des Orgelprospekts über 20 m, auf einer schwalbennestartigen Empore
in 12,50 m Höhe aufgebaut). Geschickte Mechaniken, durchdachte
Windanlagen und akustisch vorteilhafte Aufstellungen des Pfeifenwerks führten
an vielen Orten im 18. Jahrhundert zu wohlproportionierter Architektur
der Gehäuse und prächtigen Orgelklängen. Von den Anfängen
des Orgelbaus im Mittelalter bis in unsere Zeit hinein wurden beachtliche
Fachkenntnisse erworben, denen wir auf der Spur sind, welche für unsere
aktuelle Arbeit unverzichtbar sind, und die uns Maßstab dafür
sind, die unerschöpflichen Möglichkeiten des Orgelgestaltens
ohne Tabus weiterzuverfolgen.
Um nun die eigene
Spur zu finden, orientieren wir uns so dicht als möglich am Ursprung
eines Ereignisses, denn im Lauf der Zeit werden oft gute Lösungen,
im Glauben, sie zu verbessern, sie durch eine Verwandlung aktuell zu halten,
mit ungeeigneten Zusätzen befrachtet oder ihres ursprünglichen
Sinns beraubt. Dort, wo eine Idee erstmals auftritt, ist am ehesten sichtbar,
warum etwas wie gemacht wurde, und dort kann man sich Rat für das
richtige Verständnis holen. Überhaupt sollen letzte Entscheidungen
für Maße und Mensuren durch die Befragung des Baukonzepts der
Orgel selbst beantwortet werden.
Die Anlage des Gesamtkonzepts soll so effizient als möglich sein. Wie in allen bildenden Künsten, so verhält es sich auch im Orgelbau, daß mit sparsamem Umgang von Gestaltungsmitteln die relativ stärkste Aussage erreicht wird. Dieses auf eine - alles einbeziehende - Ästhetik ausgerichtete Denken führt über wirtschaftliche Ökonomie zu Instrumenten mit charakteristischem Klang. Aus dem Wissen heraus, daß jedes Register dem anderen Resonanzraum und auch Energie entzieht, sollte so sparsam als möglich mit der Registerzahl umgegangen werden. Das einzelne Register soll einen hohen Aussagewert haben. Beim Verändern der Registermischung, beim Ziehen oder Abstoßen eines Registers ereignet sich dann Wesentliches, wenn eine Stimme entsprechend ihrer Bauart unverfälscht klingt und das, was sie sagen möchte, wirklich sagen darf. Der Winddruck ist so niedrig als möglich und so hoch als nötig. Auch alle weiteren Maße der Windversorgung sind genau bemessen, Kanäle, Ventilöffnungen, Schleifen- und Stockbohrungen. Ausreichende Dimensionierungen müssen gegeben sein und Überdimensionierungen vermieden werden. Nicht zuletzt auch beim Einsatz von Massivholz ist es von Belang, durch günstige Maße dem Trocknen und Quellen Wirkung zu nehmen (eine schmale Schleife verändert sich weniger als eine breite und ein kurzes Ventil verwirft sich weniger als ein langes). Auch bei den Mensuren sind begründete Maße die Voraussetzung für ein optimales Ziel bei der Intonation. Die Güte der Mechanik muß der Wendigkeit der Pfeifenansprache ebenbürtig sein. Der sparsame Umgang und die richtige Verteilung von Masse und Drehpunkten ist Voraussetzung für Repetitionsschnelle und Beweglichkeit der Mechanik. > Erstes Gebot ist die architektonische Einheit zwischen Raum und Instrument. > Zweitens soll das Gesamtkonzept vor allem dem Klang dienen. > Drittens: Die dem Musikinstrument Orgel dienende Ausstattung und Ästhetik hat immer Vorrang gegenüber maschinenartiger Einrichtungen. > Viertens wird Sicherheit durch Einfachheit erreicht. > Fünftens gilt die Erfahrung, daß sich Ästhetik und Ökonomie wechselseitig begünstigen - eben im Sinne sparsamen Einsatzes von Gestaltungsmitteln. Wir sind uns dessen gewiss, daß wir dem Zeitgeist nicht ausweichen können, daß wir beeinflußt sind durch ihn und, ob wir wollen oder nicht wollen, aus ihm heraus arbeiten. Um so wichtiger ist uns deshalb das Hinterfragen unserer täglichen Arbeit und das Wachhalten der Reformbereitschaft. Es ist das Ziel unserer Orgelplanung, im Vorfeld sehr genaue Maße, Mensuren und Baupläne zu erstellen, so daß Orgelbau und Intonieren weitgehend Verwirklichung dieser Pläne bedeutet. Das heißt natürlich, daß in den meisten Fällen Schallmessungen durchgeführt werden müssen. Es leuchtet ein, daß ein angestrebter Klang am genauesten erreicht wird, wenn von vornherein auf die dafür notwendigen Konstellationen und Endmaße hingearbeitet wird. Bauliche Vorgaben müssen in der gewünschten Richtung korrigierbar sein. Man erreicht mit der Intonationsarbeit immer am meisten, wenn nicht entgegen vorgegebenen Materials gearbeitet werden muß, sondern das Vorgegebene optimiert wird. Um ein allgemeines aber wichtiges Beispiel zu nennen, würde man entgegen einer Vorgabe arbeiten, wenn ein Zungenregister keine Baßdynamik und ein Labialregister keine Diskantdynamik haben dürfte oder sollte. Wir verstehen
unter Intonieren ein Zu-Ende-Führen der geplanten Arbeit. Bei
dieser Endarbeit, die dem Ziel aller Mühen gilt, dem Klang, muß
man alles im Blick haben und ebenso dazu bereit sein, an Windführungen
oder der Mechanik zu arbeiten, wie am Pfeifenwerk. Beim Intonieren werden
Klang und Funktion zusammengeführt.
Der Orgelbauer erfährt beim Pfeifenmachen, daß in der Eigenverantwortung nicht nur gewünschte Maße und die Gestaltung im Detail besser verwirklicht werden, sondern auch zuvor nie gestellte Fragen auftauchen. Mit dem Delegieren des Pfeifenbaus werden auch Fragen delegiert, die sich unter dem Einfluß dieser Arbeitsteilung erst gar nicht stellen. Eine unter diesen Fragen ist z.B. die nach einer hochprozentigen Bleilegierung. Was steckt hinter diesem relativ „billigen“ Metall, das seit Jahrhunderten im Orgelbau eingesetzt, von den einen geschätzt und den anderen gemieden wird ? Blei ist ein sehr schweres Metall mit dadurch hohem Dämpfungsfaktor bzw. geringer Eigenresonanz. Es ist weiter zu erfahren, daß es gegen Salze und Schwefel resistent ist, weshalb es an Orten mit See- und vulkanischer Schwefelluft bevorzugt eingesetzt wird (Norddeutschland, Süditalien). Den Klang betreffend hat Blei hervorragende Eigenschaften. Es läßt im Spektrum den Grundton besonders gut zur Geltung kommen aber auch die Charakteristik des Schneidentons. Es ist aber ein weiches Metall mit ungünstigen „Kriechwerten“. Dem muß man durch eine spezielle, hochprozentige Legierung (z.B. 98% mit geringen Anteilen von Kupfer, Zinn, Wismut, und Antimon) und „Ausdünnen“ begegnen. Zum Gießen braucht man etwa 100 °C mehr Temperatur gegenüber Zinnlegierungen und es gibt keinen nutzbaren Übergang zwischen flüssigem und festem Zustand wie bei Legierungen mit höherem Zinnanteil. Beim spanabhebenden Bearbeiten neigt es zum „Schmieren oder Kleben“. Das alles erfordert Geschick und Zeit, führt aber zu besten klanglichen Ergebnissen. Das Windproblem durchzieht wie ein roter Faden die gesamte Orgelbauliteratur, und jede Orgelprobe widmete sich besonders auch dieser Frage, weil oft eine zu ausgeprägte Windcharakteristik, Windstößigkeit oder falsche Maße an Windführungen das Spiel beeinträchtigen. Nun hatte man Anfang der 50er Jahre durch den Einbau von Windladenbälgen endlich ein wirkungsvolles Windsystem entdeckt, welches für jeden Bedarf stoßfreien, glatten Wind lieferte. Man glaubte, damit für die Zukunft jedes Windproblem gelöst zu haben, lernte aber erst dadurch, daß die Orgel bei der Anwendung dieses Systems lebloser klang. Eine zuvor vorhandene natürliche Lebendigkeit war eliminiert. Das Thema wurde also wieder eröffnet, und inzwischen kümmern sich auch Universitätsinstitute um diese Frage. Sie bleibt uns erhalten und mit ihr das komplexe Gebiet der Strömungsphysik im Orgelwindsystem. Es bleibt uns deshalb erhalten, weil in der Praxis fast jede Orgel mit anderen Konstellationen arbeiten muß, und jede geringste Änderung am System neue Situationen schafft. Aus unserer Sicht ist es richtig, wenn auf die Lunge unseres Blasinstruments nicht verzichtet wird, denn unser Gehöhr ist allemal dazu in der Lage, feinste Unterschiede in der Tonbildung und im stationären Klang wahrzunehmen, weshalb es durch eine natürliche Windströmung mit feinen Unebenheiten nicht so gelangweilt wird wie mit dem stabilen Druck der Windladenbälge. Einen idealen Wind können die klassischen Keilbälge liefern, gerade auch im Zusammenhang mit der modernen Windmaschine, und in jedem Fall soll die ganze Orgel mit allen Teilwerken eine gemeinsame Lunge und somit einen einheitlichen Winddruck haben (Ausnahme ist hier allein die große Sinfonische Orgel für eine Kathedrale, die mit erhöhtem Winddruck für den Diskant oder spezielle Register arbeitet). Es ist erwiesen, daß eine nach Gehör gelegte Temperatur Abweichungen von bis zu 4 cent zeigt. Es ist ebenso verständlich, daß eine nach Gehör gestimmte Temperatur nie eine Präsision von 12. Wurzel aus 2 erreichen kann. Deshalb wurde bis zur Anwendung des elektronischen Stimmgeräts auch diese, um es polemisch zu sagen, ereignislose, mathematische Temperatur weder gestimmt noch wahrgenommen. Im Grunde muß man sich ja fragen, wieso bis ins 20.Jh. hinein es möglich war, den Tonarten Gemütsstimmungen zuzuordnen, obschon doch gleichstufig (in Anführungszeichen) gestimmt wurde. Kann denn allein die Tonhöhenlage einer Tonart für deren Charakteristik zuständig sein ? 4 cent Abweichung von der Gleichstufigkeit ist nicht wenig, und wenn man allein diesen Wert bewußt einsetzt, dann kann man gebräuchliche Terzen mit besserer Reinheit den weniger gebrauchten bevorzugen, wie es besonders beim Stimmen von Klavieren immer praktiziert wurde. Man kann sich also der Frage nach der richtigen oder günstigen Temperatur nicht entziehen. Jedenfalls gibt man ein für die musikalische Gestaltung wirksames Mittel aus der Hand, wenn dieses Thema außer Acht gelassen wird ( siehe auch Thema Stimmungen ). Johannes
Rohlf
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