Themen in der Werkstatt ROHLF
Kalkulation im Orgelbau
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Zusammenwirken von Preisgestaltung und Produktgüte

veröffentlicht in „ISO-INFORMATION” Ausgabe No. 32 / November 1990

Haben Sie einen schönen Beruf! - tausendfach ausgesprochen und gehört, und in vielerlei Hinsicht stimmt es auch. Jedenfalls hat der Orgelbauer insofern einen schönen Beruf, als er durch ihn vielfältig und abwechslungsreich beschäftigt wird. Der Katalog der berufsbezogenen Themen ist sehr umfangreich:
  • Fragen der Innenarchitektur.
  • Planen und Konstruieren wie ein Maschinenbauer.
  • Umgang mit den Rohstoffen Holz, Zinn, Blei und Leder.
  • Phänomene der Strömungsphysik (Ausspruch eines Physikers: "Um zu wissen, was Strömungsphysik ist, muß man selbst Strömung sein").
  • Gestalten von Klang.
  • Handwerkliche Realisierung von Plänen.
  • Gesunder Kaufmannssinn.
Jedes einzelne dieser Themen bietet für sich allein ausreichend Stoff, um einen Spezialisten ein Leben lang zu beschäftigen. Aber jedes Thema hat innerhalb eines Orgelinstruments mit dem anderen zu tun, sie wirken aufeinander und müssen stets im Zusammenhang behandelt werden. Ist es vorstellbar, daß eine Vielzahl von Spezialistenköpfen ein individuell homogenes Musikinstrument entwerfen können? Die Orgel soll zum Schluß nicht nur auf entsprechende Handhabung mit bestimmten funktionellen Abläufen reagieren, sie soll als Musikinstrument und Kulturgut auch ästhetische Fragen beantworten, was zu einem Bemühen führt, eine Übereinstimmung zwischen Konzept und Gestalt herzustellen, bis in den letzten innersten Winkel hinein.

Der Beruf des Orgelbauers ist "schön" durch die Themenvielfalt seiner Arbeit und zugleich "hart", weil neben bekannten Alltagsproblemen häufig die Grenze des Machbaren und Menschenmöglichen erreicht wird. Und so erlebt der Orgelbauer wie jeder Mensch, aber real sichtbar und hörbar die eigene Unzulänglichkeit. Uns soll aber hier das Thema "Gesunder Kaufmannssinn" interessieren.

Über der Aufgabe, eine Orgel zu bauen, wird die Frage nach der Existenz des Orgelbauers gern verdrängt. Sie stört beim Orgelbauen, sosehr sie Voraussetzung ist. Um die Existenzfrage, und somit die Frage nach der betriebswirtschaftlichen Gesundheit einer Orgelbauwerkstatt in ihrer Wichtigkeit und tragenden Funktion zu sehen, ist es hilfreich, das Leben einer Werkstatt mit dem Leben einer Pflanze zu vergleichen.

Die Pflanze hat sich im Laufe ihrer Evolution sehr genau auf ihre Umwelt eingestellt. Sie existiert, indem sie nicht mehr Nahrung benötigt, als die Natur ihr gibt. Sie erhält über den Boden, den Regen, die Luft und das Licht ausreichend Nährstoffe, um Knospen anzusetzen, zu blühen, die Frucht wachsen zu lassen und nach der Ernte in eine Rekreationsphase treten zu können. So ist sie gestärkt für neue Knospen.

Ein wirtschaftliches Unternehmen muß sich ebenso genau auf die lebenserhaltenden Faktoren einstellen. Die "Natur" des Unternehmens ist der "Markt". Allerdings kann ein Unternehmer Einfluß nehmen auf das "Wetter". Er kann die Assimilation vorteilhaft oder ungünstig steuern. Jedenfalls ist es auch für eine Orgelbauwerkstatt lebensnotwendig, daß sie sich innerhalb der komplexen Funktionen von Gedeihen und Verderben sieht. Um dauerhaft und wachsend Erzeugnisse hoher Güte zu produzieren, ist es unumgänglich, daß aufgewendete Kosten samt partieller Erneuerung der Arbeitsmittel und Erholung der Arbeitskraft durch die Veräußerung der Produkte abgedeckt werden.

Sehr viele Orgelbauer sind Gefangene ihres Berufs. Es wird immer den Orgelbauer geben, der sein letztes Hemd auszieht, um trotz allen Mangels noch eine Orgel bauen zu können, animiert von der Kirchengemeinde, die dringend diese Orgel benötigt und der es angemessen erscheint, zur Lösung der Kostenfrage in dem Orgelbauer den "edlen Spender" zu sehen. Betrachtet man dazu die Handlungsweise vieler Orgelbauer, dann muß man sagen, daß in deren Glauben, sich selbst und der Kirchengemeinde mit einem billigen Instrument zu nützen, in Wirklichkeit alle Möglichkeiten zur Erreichung hoher Qualität demontiert werden; es wird sogar die Grundlage zur eigenen Existenz aufs Spiel gesetzt.

Will der Orgelbauer mit einem zu knapp kalkulierten Produkt einen funktionierenden, betriebswirtschaftlichen Kreislauf in Gang halten, so muß er seine Kraft und seine Ideen auf Überlegungen anwenden, die einem reduzierten Einsatz von Material und Arbeitsstundenzahl gelten, um dennoch das angebotene Objekt auf die Beine stellen zu können. Setzt er mehr Mittel ein, als ihm vergütet werden dann kann er seine Existenz nur über Fremdmittel erhalten (künstliche Bewässerung). Hat er knapp kalkuliert, dann kann er nicht an die Verbesserung des Produkts denken. Er muß sich vorrangig betriebswirtschaftlichen Fragen widmen. Auch wenn es, von außen betrachtet, so aussieht, als würde er sich um die Orgel bemühen, so ist sein Tun vor allem Überlebenskampf.

Güte der Arbeit und Vergütung des Einsatzes von Material und Arbeitszeit stehen in direkter Wechselbeziehung. Es gibt nur eine geringe Zahl von Orgelbauwerkstätten, die allein durch den Bau neuer Orgeln existieren können. Beim Kampf um die Anerkennung am Markt spielt erfreulicherweise das qualifizierte Produkt eine positive Rolle.

Eine Sonderstellung in der Existenzsorge ist das Zusammengehen mit einer artfremden Branche. In der Biologie sagt man Symbiose dazu. Für den Handwerker ist das eine ungewöhnliche Art der Existenzsuche, rückt doch das Produkt seiner Bemühung aus dem Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Der nährende „Wirt“ kann z. B. ein Immobiliengeschäft sein, ein Weinhandel (Riepp), eine Brauerei (Herbst) oder sogar ein Orgelpflegeunternehmen. Negativ ausgedrückt ist die Orgel dann eine parasitäre Frucht. Parasitäre Früchte werden am Wirtschaftsmarkt zum Zweck der Bildung von Dumpingpreisen eingesetzt, und Dumpingpreise sind immer dazu geeignet, einen gesunden Wettbewerb zu stören, einer Branche zu schaden und die Güte eines Produkts zu gefährden und herabzusetzen. Als aktuelles Beispiel für eine parasitäre Frucht kann eine neue Orgel dienen, die von einem Orgelpflegeunternehmen geliefert wird. Das Unternehmen existiert durch Dienstleistungen an vorhandenen Orgeln, welche gestimmt, repariert, gereinigt oder umgebaut werden, nicht aber durch den Neubau von Orgeln. Somit kann das Unternehmen durch die Veräußerung einer kostenmäßig unterbewerteten, neuen Orgel einen Verlust in Kauf nehmen, weil dieser durch Pflegearbeiten (auch an dieser neuen Orgel!) wieder ausgeglichen wird. Entsteht eine neue Orgel in dieser Weise, dann wird dem Markt doppelter Schaden zugefügt:
  • Erstens wird vom Orgellieferer eine optimale Qualität, die zudem noch pflegearm wäre, gar nicht angestrebt und
  • Zweitens kann der Orgelbauer, der sich dem Neubau von Orgeln widmet, durch den "billigen" Konkurrenten keine der Arbeit förderlichen Preise erzielen.
Es entsteht ein Preiskampf, weit ab von Überlegungen zur Sache Orgel und Orgelkultur. Wem also wirklich eine gedeihliche Orgelkultur am Herzen liegt, der kann das durch den Kampf gegen Dumpingpreise beweisen.

Geht eine Pflanze mangels nährender Lebensumstände ihrem zeitlichen Ende entgegen, dann kann es sein, daß sie vor dem Absterben noch einmal überraschend Blüten und Früchte hervorbringt; ein Ereignis, das aus der Not heraus der Arterhaltung dient. Mir scheint, daß eine Anzahl passabler Früchte des (wahrscheinlich nicht nur deutschen) Orgelbaus vergleichbaren Situationen entspringen.

 Die Orgelbauer haben die Möglichkeit, um bessere Ergebnisse zu kämpfen. Sie müssen nicht resigniert auf bessere Zeiten warten, die von allein nicht kommen werden. Warum hört man immer wieder den Satz: "Wenn ich bessere Preise erlangen könnte, dann würde ich gern eine hochwertigere Arbeit anbieten!" Kein Orgelbauer muß tun, was er nicht vertreten kann. Um aber nach seiner Überzeugung zu arbeiten, muß er wählen, entscheiden, kämpfen und verzichten. Das heißt konkret, daß er es ablehnt, die Arbeit zu tun, die vom Konzept und der Vergütung her nicht verantwortet werden kann, und daß er diese Haltung begründet.

Der Versuch, durch "Unterbieten" die Existenz zu erhalten, bedarf nicht weniger des Verzichts und der Kraft, als für richtige, förderliche Preise zu arbeiten. Wirklich pflegen und tragen wird man die Orgelkultur aber nur, indem immer wieder höchste Ansprüche erhoben werden, und indem jeder aus dem am "Markt" beteiligten Kreis sich selbst tatsächlich fordert. Das betrifft den Orgelbauer und die Institute für seine Ausbildung genauso wie die Kirchenmusiker und deren Ausbildungsorgane, die Kirchenbehörden mit ihren beratenden Sachverständigen, die Organologen, die autarken Organisten und die Orgelfreunde. Vermutlich trägt der "beratende Orgelsachverständige" in diesem Zusammenhang außergewöhnliche Verantwortung.

Die Orgel will dem Gottesdienst und der Musik dienen. Sie verfolgt mit ihrem Klang keine materiellen Ziele. So scheint es widersprüchlich, mit dem Bau einer Orgel zugleich einen wirtschaftlichen Gewinn zu erarbeiten (mit dem der Lebensunterhalt des Orgelbauers, seiner Familie, seiner Mitarbeiter und seiner Werkstatt bestritten wird). Es ist aber nicht Widerspruch, sondern unverzichtbare Voraussetzung, die wir sehen und akzeptieren müssen. 
Johannes Rohlf
im November 1990
 
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