Haben Sie einen
schönen Beruf! - tausendfach ausgesprochen und gehört, und
in vielerlei Hinsicht stimmt es auch. Jedenfalls hat der Orgelbauer insofern
einen schönen Beruf, als er durch ihn vielfältig und abwechslungsreich
beschäftigt wird. Der Katalog der berufsbezogenen Themen ist sehr
umfangreich:
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Fragen der Innenarchitektur.
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Planen und Konstruieren wie ein Maschinenbauer.
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Umgang mit den Rohstoffen Holz, Zinn,
Blei und Leder.
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Phänomene der Strömungsphysik
(Ausspruch eines Physikers: "Um zu wissen, was Strömungsphysik ist,
muß man selbst Strömung sein").
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Gestalten von Klang.
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Handwerkliche Realisierung von Plänen.
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Gesunder Kaufmannssinn.
Jedes einzelne dieser Themen bietet für
sich allein ausreichend Stoff, um einen Spezialisten ein Leben lang zu
beschäftigen. Aber jedes Thema hat innerhalb eines Orgelinstruments
mit dem anderen zu tun, sie wirken aufeinander und müssen stets im
Zusammenhang behandelt werden. Ist es vorstellbar, daß eine Vielzahl
von Spezialistenköpfen ein individuell homogenes Musikinstrument entwerfen
können? Die Orgel soll zum Schluß nicht nur auf entsprechende
Handhabung mit bestimmten funktionellen Abläufen reagieren, sie soll
als Musikinstrument und Kulturgut auch ästhetische Fragen beantworten,
was zu einem Bemühen führt, eine Übereinstimmung zwischen
Konzept und Gestalt herzustellen, bis in den letzten innersten Winkel hinein.
Der Beruf des Orgelbauers ist "schön"
durch die Themenvielfalt seiner Arbeit und zugleich "hart", weil neben
bekannten Alltagsproblemen häufig die Grenze des Machbaren und Menschenmöglichen
erreicht wird. Und so erlebt der Orgelbauer wie jeder Mensch, aber real
sichtbar und hörbar die eigene Unzulänglichkeit. Uns soll aber
hier das Thema "Gesunder Kaufmannssinn" interessieren.
Über der Aufgabe, eine Orgel zu
bauen, wird die Frage nach der Existenz des Orgelbauers gern verdrängt.
Sie stört beim Orgelbauen, sosehr sie Voraussetzung ist. Um die Existenzfrage,
und somit die Frage nach der betriebswirtschaftlichen Gesundheit einer
Orgelbauwerkstatt in ihrer Wichtigkeit und tragenden Funktion zu sehen,
ist es hilfreich, das Leben einer Werkstatt mit dem Leben einer Pflanze
zu vergleichen.
Die Pflanze hat sich im Laufe ihrer
Evolution sehr genau auf ihre Umwelt eingestellt. Sie existiert, indem
sie nicht mehr Nahrung benötigt, als die Natur ihr gibt. Sie erhält
über den Boden, den Regen, die Luft und das Licht ausreichend Nährstoffe,
um Knospen anzusetzen, zu blühen, die Frucht wachsen zu lassen und
nach der Ernte in eine Rekreationsphase treten zu können. So ist sie
gestärkt für neue Knospen.
Ein wirtschaftliches Unternehmen muß
sich ebenso genau auf die lebenserhaltenden Faktoren einstellen. Die "Natur"
des Unternehmens ist der "Markt". Allerdings kann ein Unternehmer Einfluß
nehmen auf das "Wetter". Er kann die Assimilation vorteilhaft oder ungünstig
steuern. Jedenfalls ist es auch für eine Orgelbauwerkstatt lebensnotwendig,
daß sie sich innerhalb der komplexen Funktionen von Gedeihen und
Verderben sieht. Um dauerhaft und wachsend Erzeugnisse hoher Güte
zu produzieren, ist es unumgänglich, daß aufgewendete Kosten
samt partieller Erneuerung der Arbeitsmittel und Erholung der Arbeitskraft
durch die Veräußerung der Produkte abgedeckt werden.
Sehr viele Orgelbauer sind Gefangene
ihres Berufs. Es wird immer den Orgelbauer geben, der sein letztes Hemd
auszieht, um trotz allen Mangels noch eine Orgel bauen zu können,
animiert von der Kirchengemeinde, die dringend diese Orgel benötigt
und der es angemessen erscheint, zur Lösung der Kostenfrage in dem
Orgelbauer den "edlen Spender" zu sehen. Betrachtet man dazu die Handlungsweise
vieler Orgelbauer, dann muß man sagen, daß in deren Glauben,
sich selbst und der Kirchengemeinde mit einem billigen Instrument zu nützen,
in Wirklichkeit alle Möglichkeiten zur Erreichung hoher Qualität
demontiert werden; es wird sogar die Grundlage zur eigenen Existenz aufs
Spiel gesetzt.
Will der Orgelbauer mit einem zu knapp
kalkulierten Produkt einen funktionierenden, betriebswirtschaftlichen Kreislauf
in Gang halten, so muß er seine Kraft und seine Ideen auf Überlegungen
anwenden, die einem reduzierten Einsatz von Material und Arbeitsstundenzahl
gelten, um dennoch das angebotene Objekt auf die Beine stellen zu können.
Setzt er mehr Mittel ein, als ihm vergütet werden dann kann er seine
Existenz nur über Fremdmittel erhalten (künstliche Bewässerung).
Hat er knapp kalkuliert, dann kann er nicht an die Verbesserung des Produkts
denken. Er muß sich vorrangig betriebswirtschaftlichen Fragen widmen.
Auch wenn es, von außen betrachtet, so aussieht, als würde er
sich um die Orgel bemühen, so ist sein Tun vor allem Überlebenskampf.
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Güte der
Arbeit und Vergütung des Einsatzes von Material und Arbeitszeit stehen
in direkter Wechselbeziehung. Es gibt nur eine geringe Zahl von Orgelbauwerkstätten,
die allein durch den Bau neuer Orgeln existieren können. Beim Kampf
um die Anerkennung am Markt spielt erfreulicherweise das qualifizierte
Produkt eine positive Rolle.
Eine Sonderstellung
in der Existenzsorge ist das Zusammengehen mit einer artfremden Branche.
In der Biologie sagt man Symbiose dazu. Für den Handwerker ist das
eine ungewöhnliche Art der Existenzsuche, rückt doch das Produkt
seiner Bemühung aus dem Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Der nährende
„Wirt“ kann z. B. ein Immobiliengeschäft sein, ein Weinhandel (Riepp),
eine Brauerei (Herbst) oder sogar ein Orgelpflegeunternehmen. Negativ ausgedrückt
ist die Orgel dann eine parasitäre Frucht. Parasitäre Früchte
werden am Wirtschaftsmarkt zum Zweck der Bildung von Dumpingpreisen eingesetzt,
und Dumpingpreise sind immer dazu geeignet, einen gesunden Wettbewerb zu
stören, einer Branche zu schaden und die Güte eines Produkts
zu gefährden und herabzusetzen. Als aktuelles Beispiel für eine
parasitäre Frucht kann eine neue Orgel dienen, die von einem Orgelpflegeunternehmen
geliefert wird. Das Unternehmen existiert durch Dienstleistungen an vorhandenen
Orgeln, welche gestimmt, repariert, gereinigt oder umgebaut werden, nicht
aber durch den Neubau von Orgeln. Somit kann das Unternehmen durch die
Veräußerung einer kostenmäßig unterbewerteten, neuen
Orgel einen Verlust in Kauf nehmen, weil dieser durch Pflegearbeiten (auch
an dieser neuen Orgel!) wieder ausgeglichen wird. Entsteht eine neue Orgel
in dieser Weise, dann wird dem Markt doppelter Schaden zugefügt:
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Erstens wird vom
Orgellieferer eine optimale Qualität, die zudem noch pflegearm wäre,
gar nicht angestrebt und
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Zweitens kann der
Orgelbauer, der sich dem Neubau von Orgeln widmet, durch den "billigen"
Konkurrenten keine der Arbeit förderlichen Preise erzielen.
Es entsteht ein
Preiskampf, weit ab von Überlegungen zur Sache Orgel und Orgelkultur.
Wem also wirklich eine gedeihliche Orgelkultur am Herzen liegt, der kann
das durch den Kampf gegen Dumpingpreise beweisen.
Geht eine Pflanze
mangels nährender Lebensumstände ihrem zeitlichen Ende entgegen,
dann kann es sein, daß sie vor dem Absterben noch einmal überraschend
Blüten und Früchte hervorbringt; ein Ereignis, das aus der Not
heraus der Arterhaltung dient. Mir scheint, daß eine Anzahl passabler
Früchte des (wahrscheinlich nicht nur deutschen) Orgelbaus vergleichbaren
Situationen entspringen.
Die Orgelbauer
haben die Möglichkeit, um bessere Ergebnisse zu kämpfen. Sie
müssen nicht resigniert auf bessere Zeiten warten, die von allein
nicht kommen werden. Warum hört man immer wieder den Satz: "Wenn ich
bessere Preise erlangen könnte, dann würde ich gern eine hochwertigere
Arbeit anbieten!" Kein Orgelbauer muß tun, was er nicht vertreten
kann. Um aber nach seiner Überzeugung zu arbeiten, muß er wählen,
entscheiden, kämpfen und verzichten. Das heißt konkret, daß
er es ablehnt, die Arbeit zu tun, die vom Konzept und der Vergütung
her nicht verantwortet werden kann, und daß er diese Haltung begründet.
Der Versuch,
durch "Unterbieten" die Existenz zu erhalten, bedarf nicht weniger des
Verzichts und der Kraft, als für richtige, förderliche Preise
zu arbeiten. Wirklich pflegen und tragen wird man die Orgelkultur aber
nur, indem immer wieder höchste Ansprüche erhoben werden, und
indem jeder aus dem am "Markt" beteiligten Kreis sich selbst tatsächlich
fordert. Das betrifft den Orgelbauer und die Institute für seine Ausbildung
genauso wie die Kirchenmusiker und deren Ausbildungsorgane, die Kirchenbehörden
mit ihren beratenden Sachverständigen, die Organologen, die autarken
Organisten und die Orgelfreunde. Vermutlich trägt der "beratende Orgelsachverständige"
in diesem Zusammenhang außergewöhnliche Verantwortung.
Die Orgel will
dem Gottesdienst und der Musik dienen. Sie verfolgt mit ihrem Klang keine
materiellen Ziele. So scheint es widersprüchlich, mit dem Bau einer
Orgel zugleich einen wirtschaftlichen Gewinn zu erarbeiten (mit dem der
Lebensunterhalt des Orgelbauers, seiner Familie, seiner Mitarbeiter und
seiner Werkstatt bestritten wird). Es ist aber nicht Widerspruch, sondern
unverzichtbare Voraussetzung, die wir sehen und akzeptieren müssen.
Johannes
Rohlf
im November 1990
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